Baumarkt OnlineIn letzter Zeit sind die Branchenanalysen bei Kassenzone viel zu kurz gekommen und das Thema “Baumärkte online” liegt nun schon seit einigen Monaten in der Schublade. Nachdem ich selber aufs Land gezogen, bin ich umso mehr interessiert an der Frage: Was passiert eigentlich mit unseren Baumärkten? Bisherige Branchenanalysen bei Kassenzone haben sich mit den Branchen Großhandel, Apotheken, Möbel, Versicherungen, Optikern uvm. befasst. Der Ablauf ist meistens sehr ähnlich. Er beginnt mit der Frage welche Teile der Wertschöpfung kurz-, mittel- und langfristig vom Internet übernommen wird und ob die klassischen Unternehmen irgendwie davon profitieren können. Beim Thema Baumarkt bin ich hin- und hergerissen.

Welches Problem haben Baumärkte?

Bei den Branchenalysen hat es sich bewährt den Status Quo der Handelsmodelle als nachrangig zu betrachten. Andernfalls erhält man automatisch einen Scheuklappeneffekt. Man kann sich dann nicht “vorstellen”, dass Produkt xyz (Möbel, hochwertiger Schmuck…) in breiter Masse über des Internet gekauft wird. Fast alle alten Handelsmodelle basieren auf Informations- und Transportkostenrestriktionen. Die Preise von Rolex Uhren mögen überall unterschiedlich sein, aber das wissen die Kunden stationär nicht (Information) und zudem haben sie maximal die Gelegenheit zwei, drei oder vier Händler zu besuchen (Transportkosten). Es ist deutlich einfacher, wenn man sich in die Kunden versetzt und annimmt, dass die Ausstattung mit digitalen Gatekeepern (PCs, Smartphones,…) in Zukunft steigt. Die initiale Produktsuche wird in Zukunft vor allem digital stattfinden. Auf den Händler ist dann niemand mehr angewiesen für die Informationsbeschaffung. Vom möglicherweise tollen Ambiente beim Juwelier vor Ort weiß der durch Google/Facebook/Amazon/Apple geleitete Kunden dann gar nicht mehr.

Gilt das auch für Baumärkte? Gartencenter fallen für mich als Laie in die gleiche Kategorie, auch wenn das nicht alle Leser so teilen würden. Die großen Baumärkte verstehen sich wahrscheinlich auch als Gartencenter. Muss Obi nun die Holzlattenapp eines digitalen Wettbewerbers fürchten? Wird Google Nest in Zukunft mit klugen Sensoren über die Nachbestellung von Wandfarbe entscheiden? Anders als bei den Optikern und beim Thema Versicherung, sehe ich langfristig für stationäre Konzepte im Baumarktbereich mehr Chancen. Warum?

Klar, es gibt kurz- bis mittelfristig ein erhebliches Logistikproblem für große Teile von Baumarkt- und Planzenmarkt Sortimenten. Ich kann mir auch nicht vorstellen ein dutzend Holzlatten bei Amazon zu bestellen, insbesondere deshalb, weil ich vor der Fahrt zum Baumarkt noch gar nicht genau weiß was für Holzlatten ich überhaupt brauche. Auch bei anderen Produkten schlägt die lokale Lagerhaltung die Versandsysteme. Die spontane Entscheidung eine Doppelschaukel für die Kinder in den Garten zu kaufen, hat mich zum nächstgelegenen Hagebau geführt. Dort gab es die Kinderspielanlage “Arno” für 119€ im Angebot. Vergleichbare Amazonprodukte lagen teilweise bei über 200€ + Lieferung. Gut, nur weil ich mir eine Schaukel beim Hagebau gekauft habe und mir (noch) nicht vorstellen kann, dass mir der DHL Fahrer Holzlatten bringt, heißt das ja noch nicht, dass sie diese Branche entspannt zurücklehnen kann. Wie sehen die Branchenzahlen generell aus?

Wie groß ist der Markt?

Zur Vereinfachung nutze ich zur Orientierung die Zahlen des IFH Köln, die den DIY Markt auf ca. 230 Mrd. Euro groß schätzen bei 1-2% Wachstum im pro Jahr über die letzten 10 Jahre.  Bau- und Heimwerkermärkte sind für ca. 9% (ca. 20 Mrd. Euro) des Umsatzes verantwortlich. Der Onlineumsatz der Kernsortimente Heimwerken, Baustoffe und Garten (Marktvolumen 143 Mrd. Euro) lag 2015 bei 2,4 Mrd. Euro, also noch unter 2%. Wenn man nun die anderen Sortimente hinzurechnet, wird es mit der Abgrenzung sehr schwierig.  Das IFH geht davon aus, dass der Umsatzanteil der B2C Umsatzanteil der Kernsortimente (also ohne Handwerk) bei 4-5% liegt, wobei hier das zu berücksichtigende Gesamtvolumen “nur” 56 Mrd. Euro groß ist. Das Onlinewachstum ist allerdings enorm mit 10-20%. Alles in allem ein sehr großer Markt, der verglichen mit anderen Sortimenten noch sehr gering online abgebildet ist, fast so wie der Möbelhandel. Die Komponente Handwerk (B2B) macht die Analyse noch schwieriger, weil Handwerker oft die Installationsleistung an die Ware knüpfen, aber dazu kommen wir später.

DIY-IFH

Wenn man das Geschäft für die Bau- und Heimwärkermärkte stark vereinfacht und alle gängigen Amazonthesen anwendet, komme ich zu einer eher negativen Perspektive. Um vermeintlich margenstarke Geräte (z.B. Elektrowerkzeuge), Geräte für den Garten (z.B. Schubkarre oder Düngerstreuer) zu kaufen, brauche ich keinen Baumarkt mehr. Da bietet Amazon mir einen besseren Service und ein besseres Preisgefühl. Dann bleibt noch die Doppelschaukel und der Kleinkram den ich hin und wieder im Baumarkt kaufe, bei dem ich allerdings auch bei Amazon und Co. die Preise vergleiche und denke mir: Davon allein kann doch lange kein Baumarkt leben, oder? Das gilt sowohl für Endkunden wie mich als auch für Handwerker. In einer spannenden Studie vom Dähne Verlag (Daten von 2012) werden u.a. Handwerker gefragt warum sie nicht online kaufen. Alle aufgeführten Nichtkauf-Gründe (Rückgabe, Beratung, Versandkosten…) werden aus meiner Sicht sehr kurzfristig von großen Onlinenanbietern gelöst. Sogar die sofortige Verfügbarkeit wird in Metropolen zeitnah etabliert sein. Dann wäre es in der Theorie nur noch eine Frage der Konditionierung und etwas Zeit.

Handwerker

Bis hierhin sieht es noch nicht so rosig aus für Baumärkte. Es gibt aber ein paar Elemente, die ein unbegrenzten Onlinewachstum verhindern, bzw. Neue Chancen aufzeigen.

Die IFH Studie führt zwei Gründe an, warum der Onlinevertrieb noch nicht richtig in Gang gekommen ist.

  1. Zum einen würden sich die bekannten Handelsunternehmen nur sehr wenig (oder spät) mit dem Thema beschäftigen.

  2. Viele Warengruppen sind nur bedingt für den Onlinehandel geeignet (Holz, Pflanzen, Farben…)

Ich finde beide Punkte sind nicht strittig, aber (1) dient für mich nicht als Argument, weil in den Amazon dominierten Sortimenten die alten Platzhirsche wie Thalia oder Mediamarkt auch lange Zeit nichts zur Onlineentwicklung beigetragen haben und der Markt trotzdem sehr stark gewachsen ist. Der zweite Punkt (2) ist schon deutlich härter. Man könnte hier aber auch behaupten, dass das nur eine Frage kluger Logistik ist, die sich zeitnah entwickeln wird, weil die Produkte ja auch via LKW zu den Baumärkten kommen. Dann wäre es nur noch eine Frage der Packungsgrößen auf den LKW, um eine B2C/B2B Lieferfähigkeit herzustellen. Wie kann man als Bau- oder Pflanzenfachmarkt an die Analyse herangehen? Was wäre online zu tun?

Wie kommt der große Umbruch?

Am einfachsten aus meiner Sicht ist es nun die wesentlichen Produktgruppen auf die gängigen Einkaufssituationen zu verteilen und sich zu überlegen an welcher Stelle man in einer noch digitaleren Welt diese Märkte benötigt. Die gröbste Aufteilung ist sicherlich die folgende:

Heimwerken Baustoffe Pflanzen
B2B z.B. Handwerker kauft Fliesen z.B. Gartenprofi kauft Pflanzen
B2C z.B. Pavillon kaufen z.B. Endkunde kauft Fliesen

Die konkreten Kaufsituationen sind sehr einfach zu beschreiben. Der Pavillon wird m.E. schnell einer Preistransparenz unterliegen und ist zudem leicht lieferbar => Internet gewinnt. Erschwerend für die stationäre Baumarktbranche kommt hinzu, dass viele Produktkategorien (wie Pavillons) keiner Markenpräferenz unterliegen. Das könnte sich langfristig aber auch als Vorteil herausstellen, weil das die Vergleichbarkeit der Produkte verringert => Vorteil stationär. Der Endkunde der Fliesen braucht, macht das wahrscheinlich nicht regelmäßig und braucht das haptische Erlebnis im Baumarkt, allerdings vergleicht er auch online die Preise => unentschieden (vorerst). Der Gartenprofi hat womöglich einen Discount beim Markt seiner Wahl und kauft ohnehin oft dieselben Sachen. Der braucht den Markt gar nicht mehr als Handelsfläche, sondern das ist für ihn die beste Art der Lagerhaltung. Hitmeister.de hat in der besprochenen Branche ein außergewöhnlich großes Sortiment und pflegt seine Daten sicherlich besser als die meisten Baumärkte. Warum sollte da ein Kunde noch zum Markt fahren?

hitmeister

An dieser Stelle dürfen sich die Märkte nichts vormachen. Bei Produkten die sich versenden lassen, müssen die Märkte mindestens das preisliche Niveau des Onlinehandels erreichen, oder die Produkte müssen ausgelistet werden bzw. gegen exklusive Marken getauscht werden. Bei diesen Produkten ist es keine Frage des “ob”, sondern nur vom “wann” der Großteil online gehandelt wird. Bei Markengeräten wie z.B. “Bosch Bohrmaschine” ist der Zug mE schon abgefahren. Hier funktioniert das alte Handelsmodell nicht mehr. Nun kann sich ein Baumarkt entscheiden, ob er die Geräte auslistet, die nicht mehr profitabel zu verkaufen sind, oder ob er Bosch nur noch Regalmeter zu einem Festpreis verkauft, so dass sich Bosch um das Preisthema kümmern muss. Dieses Problem sollte allerdings von der Entwicklung einer Onlinestrategie getrennt werden. Ein Handelsproblem wird durch den Betrieb einer Webseite nur beschleunigt, nicht gelöst. Viel grundsätzlicher ist für mich die Frage, warum die Kunden (B2C & B2B) in Zukunft in den Laden kommen sollten. Dafür könnte man u.a. Versuchen hinter den Auslöser der Einkaufssituationen zu kommen:

Heimwerken Baustoffe Pflanzen
B2B „Ich brauche jede Woche Fliesen.“ “Ich will den Garten neu gestalten lassen.”
B2C “Ich will eine Gartenparty feiern” “Ich will renovieren.”

Ein Baumarkt müsste doch versuchen in all diesen Situationen die erste Anlaufstelle zu sein. Online bedeutet das kurzfristig Content ohne Ende, der aber dazu führen muss die Leute in den Markt zu bringen. Das können Seminare zum Baumhausbau, Fliesenverlegen, Sonnensegelnähen…. Was auch immer sein, aber es könnten auch Aktionen wie z.B. kleine Bootsmessen sein, bei denen die Besitzer kleiner Segelyachten die Basics lernen können + die passenden Produkte kaufen können. Geld kann man entweder verdienen, indem man die Aktionen an Hersteller verkauft oder stark vertikalisiert und so viele Fliesen eines bestimmten Typs absetzen kann, dass kein klassischer Onlinehändler im Angebot mithalten kann. Aus Sicht der Märkte sind diese Optionen sehr unbequem, weil alle Optionen dazu führen, dass die bestehende Wertschöpfungskette umgebaut werden muss. Für Pflanzen- und Gartenmärkte ist der Handlungsbedarf beim Thema “Pflanzen” zwar noch nicht sehr groß, aber alles im Bereich Gartenmöbel und Gartengeräte steht durch die Onlinehändler stark unter Druck.

Nun gibt es bei den vom Internet betroffenen (Handels-) Geschäftsmodellen zwei oft schmerzarme Handlungsoptionen, die oft auf umfassende Zustimmung in den Unternehmen führen. Service & Content

  • Service: „Wir müssen alles dafür tun, damit sich die Kunden wohl bei uns fühlen.“ Wenn sie zu Hause jemanden brauchen, der den Pool aufbaut, dann müssen wir diesen Service bieten…..“
  • Content: „Wir müssen unsere Kompetenz besser nutzen/zeigen und Guides anbieten. Der Kunde muss uns als Problemlöser ansteuern….“

Bekannte Maßnahmen, es sind aber keine Strategien, um das oben beschriebene Relevanzproblem zu lösen. Das sind nur Hygienemaßnahmen die jeder Markt sofort und auf jeden Fall umsetzen muss. Das hat aber überhaupt nichts mit dem Thema Digitalisierung zu tun, sondern dürfte dem Selbstverständnis guter Kundenorientierung entsprechen. Die Veränderung der Wertschöpfungskette ist hingegen deutlich schwieriger, weil diese Maßnahmen eben nicht auf die ungeteilte Zustimmung im Unternehmen stoßen. Dazu können nach meinem Verständnis die folgenden Dinge gehören:

  • Das eigene Sortiment bei Amazon & TMall anbieten
  • Online vertriebene Herstellermarken auslisten
  • 20% der Marktfläche für Seminare zur Verfügung stellen (z.B. Fliesen legen)
  • Produkte online verkaufen, die es ggf. nur online und nicht mehr stationär gibt
  • In B2B Technologien investieren, um diese als Service an Handwerker zu verkaufen (ggf. sogar mit Verlust)
  • In komplett neue Modelle investieren, die das eigene Geschäft kannibalisieren (Baumhausmarke im Abo J)
  • In Onlinemodelle investieren, um zu Lernen oder als reine Finanzinvestments
  • Usw…

Alles Punkte die nicht selbsterklärend sind, die ggf. untereinander im Widerspruch stehen, aber die auf jeden Fall zu Widerstand im Unternehmen führen. Nur dann sind sie wahrscheinlich etwas wert, wenn sie dazu beitragen sollen am Onlinewachstum zu partizipieren. Man kann es natürlich auch bei Service und Content belassen, aber dann zitiere ich gerne Florian Heinemann aus dem letzten Podcast: „Die Kosten von Nichtstun sind der sichere Exitus.“ Was mir an der Baumarktbranche allerdings extrem gut gefällt, dass sie selbst noch alle Optionen in der Hand hat. Los geht’s!

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