MarkenIn meinem Beitrag zur mangelnden Passfähigkeit von E-Commerce und stationärem Einzelhandel habe ich explizit Marken und Hersteller ausgeblendet. Für reine Händler macht ein Multichannelansatz aus meiner Sicht sehr wenig Sinn, aber für Marken und Hersteller muss diese Fragestellung anders bewertet werden. Wenn man meinen Argumenten aus den verschiedenen Beiträgen zu diesem Thema folgt, dann ist es auch weniger eine Frage des „ob“, sondern nur eine Frage des „wann“. Hinter der „Wann-Frage“ verstecken sich diverse spannende Probleme, die mir täglich bei Kundenprojekten begegnen. Ganz so einfach ist es dann doch nicht mit dem Direktvertrieb.

Marken & Hersteller werden Händler

Adrian Hotz hat in seinem Blog vor Kurzem beschrieben, wie ein klassischer Verlauf  vom Hersteller zum Händler aussehen kann. Angefangen bei der direkten Belieferung von Amazon, über die Etablierung von Markenshops bei etablierten Händlern (Condrad, Otto…) bis hin zum eigenen Shop und der damit einhergehenden Limitierung der bisherigen Handelspartner beim Pricing bzw. Belieferung. Das klingt nachvollziehbar und sinnvoll. Warum sollte auch der scheinbar überflüssig werdende Handelspartner die schicke Marge einstreichen, wenn doch der Kunde ohnehin direkt nach dem Markenprodukt sucht? In Zeiten von E-Commerce & Co. kann man diese Marge auch selber kassieren und z.B. die guten Markensocken direkt an den Endkunden verkaufen. Soweit die Theorie. In der Realität schlottern eigentlich fast allen Markenverantwortlichen die Knie, wenn sie über die hitzigen Gespräche mit verärgerten Händlern nachdenken. Diese Gespräche kommen auf jeden Fall – egal ob der Direktvertrieb berechtigt oder unberechtigt eingeführt wird. Die Händler verlieren zu großen Teilen ihre Daseinsberechtigung und werden deshalb jedes nur erdenkliche Argument anführen, um den Hersteller vom Direktvertrieb abzuhalten. Es lohnt sich daher mal abseits der reinen Margen- und Möglichkeitendiskussion sehr genau auf die Rolle der jeweiligen Handelspartner zu schauen und zu versuchen die folgenden Fragen objektiv zu beantworten:

  • Welche Rolle spielen die Händler beim Aufbau/bei der Pfege der Marke? Würde eine geringere stationäre/online Präsenz der Produkte dazu führen, dass die Marke negativ beeinflusst wird? Gibt es ausreichend Potential diesen Effekt zu minimieren (z.B. mit eigenen Showrooms)?
  • Ist es aus Kundensicht notwendig/sinnvoll die Marke direkt zu vertreiben? Entspricht das dem Kundenkauf- und suchverhalten? Würden die Kunden das Produkt auch ohne die Amazon Rezensionen kaufen? Sind die Produkte einzelverkaufsgeeignet? (Socken vs. Möbel)
  • Sollte jetzt mit dem Direktvertrieb gestartet werden? Macht ein Start im überhitzten Onlinewerbemarkt Sinn? Wenn die Händler gerade mal so kostendeckend B2C Commerce betreiben können, reicht dann der Margenvorteil aus, um das Geschäft trotzdem profitabel zu betreiben? Warum will man überhaupt direkt vertreiben? Sinken die Umsätze/Reichweiten der etablierten Handelspartner tatsächlich so schnell?
  • Kann man sich B2C überhaupt leisten? Gibt es das notwendige Know How im Unternehmen? Werden die Investitionen richtig eingeschätzt? Umfasst das bestehende Angebot der Webagentur für den Shopaufbau in Höhe von 20.000 Euro tatsächlich alle relevanten Kosten? Die neue Webseite hat doch auch nur 12.000 Euro gekostet.

Das sind alles Fragen, die bei genauer Diskussion manche Unternehmen vom Direktvertrieb abhalten werden. Grundsätzlich wird man sich fragen müssen, ob man die Handelspartner langfristig braucht. Meine überspitze Empfehlung dazu ist es zu hinterfragen, ob bestehende stationäre Handelspartner wirklich zum (Zusatz-) Umsatz beitragen (mehr Partner bedeutet nicht zwingend mehr Umsatz) und ob bestehende/geplante E-Commerce Handelspartner echten organischen Traffic generieren. Dazu gehört natürlich nicht der Bereich Brand SEO. Alleine dieser Check führt schon zu sehr interessanten Erkenntnissen. Um es etwas greifbarer zu machen, denkt doch mal über die folgenden Beispiele nach:

Würdet ihr als Dachfenster immer eines von Velux kaufen, oder reicht auch eine alternative Marke die euch der Handwerker empfiehlt? Hättet ihr kürzlich etwas bei Marc O`Polo gekauft, wenn es nicht in der Suche bei Otto oder Zalando aufgetaucht wäre? Wo genau habt ihr noch mal eure ARAG Rechtsschutzversicherung abgeschlossen? Würdet ihr heute wieder so entscheiden/beraten werden? Ist das schöne Teeset von Greetsch so schön, weil ihr es im Laden von Maufactum gesehen habt, oder weil es nach langer Online Recherche wirklich das beste Teeset ist? Ist die Hose von Hugo Boss attraktiver, weil sie auch im Breuniger Haus in Stuttgart angeboten wird, oder wird sie dadurch beliebiger.

Gar nicht so einfach, oder? Die Diskussionen zum Direktvertrieb werden sehr oft, sehr schnell zu Diskussionen im Bereich Markenbildung. Diese sind leider nicht so rational führbar und eindeutig, wie es der Business Case zum Direktvertrieb vormacht. Grundsätzlich spricht aber wenig dagegen, dass die meisten Marken & Hersteller irgendwann ihre Produkte auch online verkaufen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wenn sie aber direkt verkaufen, dann wir das Thema „selektiver Vertrieb“ auf einmal sehr aktuell.

Wie gehen handelnde Marken mit „reinen“ Händlern um?

Aus Händlersicht wird selektiver Vertrieb sehr kritisch beobachtet. Meistens hört man in diesem Zusammenhang auch Stichworte wie Kartellrecht, Gerichtsverfahren und ähnliches. Im Shopanbieterblog gibt es diverse Beiträge zu dem Thema, die recht objektiv in die Materie einführen.

Letztlich kann die Frage, ob Markenhersteller den Internethandel verbieten oder einschränken dürfen, nicht pauschal beantwortet werden. Es kommt vielmehr konkret auf die Gestaltung der individuellen Vertriebsvereinbarung an, die der Hersteller seinen Händlern als Vertragsgrundlage vorlegt. Diese muss im Einzelfall genau anhand der kartellrechtlichen Vorgaben geprüft werden.

In letzter Zeit haben Adidas, Boss und Mammut von sich reden gemacht, weil sie sich von verschiedenen Plattformen wie z.B. Amazon oder Zalando zurückziehen wollen. Aus meiner Sicht nehmen sich die Marken zurecht die Selektion ihrer Vertriebspartner heraus. Kritisch dürfte allerdings in der Regel die angestrebte Preisbindung sein. In diesem Punkt hinkt die Rechtssprechung der Handelsentwicklung hinterher. Sinnvolle Einschränkungen aus dem stationären Umfeld funktionieren im E-Commerce leider nicht bzw. gegenteilig. Und die Marken & Hersteller wissen nur zu gut, dass der billigste Anbieter in der Regel den Kampf um den Kunden gewinnt. Dieses Problem möchte ich aber gar nicht diskutieren. Viel wichtiger für mich ist die Fragen nach der Sinnhaftigkeit des selektiven Vertriebs (Online) für Marken & Hersteller. Warum?

  • Warum sollte eine Marke/ein Hersteller auf vielen Online Plattformen vertreten sein, wenn diese Plattformen den Traffic ohnehin nur mühsam erkaufen und kaum Lock In Effekte erzeugen?
  • Eine gute Marke ist wertvoller für einige wenige Plattformen, wenn sie diese konkret auswählt und andere Plattformen gezielt aussortiert. Die Markenauswahl/das Angebot der gewählten Plattformen ist für den Endkunden differenzierender und die Marketingkosten sinken, weil weniger Anbieter um die begrenzten Werbeplätze buhlen.
  • Wenn Kunden nach Marken und nicht nach Händlern suchen, welchen Sinn hat es dann überhaupt auf kleinen Plattformen vertreten zu sein? Plattformen brauchen die Marken, um online effektiv werden zu können. Brauchen deshalb die Marken möglichst viele Plattformen?

Es gibt noch ein viel mehr Argumente für die Stärkung von wenigen Plattformen und gegen die wahllose Aussteuerung eigener Produkte auf möglichst vielen Plattformen. Interessant aus Händlersicht dürfte sein, wie das Werbekonzept aussieht, wenn Marken sich insbesondere die Aussteuerung von SEO & SEM Maßnahmen über deren eigene Keywords exklusiv zusichern lassen. Die Selektionsaktivitäten von Adidas & Co. dürften aus meiner Sicht eher der Anfang einer recht großen Neuausrichtung vieler Marken sein. Einige dürften von den eigenen Direktvertriebsaktivitäten geprägt sein, andere sind das Ergebnis moderner online Markenführung. Das wird natürlich am Geschrei einiger Händler nicht viel ändern.

Martin Gross-Albenhausen vom BVH Blog argumentiert aktuell gegen den selektiven Vertrieb, weil man dadurch die Sichtbarkeit von Marken verringern könnte.

Selektiven Vertrieb, der das Warenangebot im Internet zugunsten der stationären Händler einschränken soll, halte ich für eine Sackgasse, wenn so die Sichtbarkeit der Händler reduziert wird. Dieser Ansatz ignoriert die massiven Veränderungen in der Customer Journey, die nun einmal im Web beginnt und vom Händler verlangt, dort präsent zu sein.

Diese Position ist spannend, aber aus meiner Sicht leicht angreifbar, wenn die Händler nicht nachweisen können, dass sie ein organischer Teil der Customer Journey Online sind. Das könnte eine spannende Diskussion beim etailment Summit werden. Auf jeden Fall wird mich dieses Thema in vielen Projekten in diesem und wahrscheinlich in den nächsten Jahren begleiten. Spannende Zeiten!

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